Wer von uns kennt sie nicht, die Tretmühle Alltag? Wir hetzen „von Pontius zu Pilatus“, bearbeiten meist viele Dinge parallel, sind jederzeit überall erreichbar und stehen ständig unter Volldampf. Neben den beruflichen Anforderungen sollen wir auch noch den Erwartungen und Bedürfnissen der Familie und Freunde gerecht werden, von den eigenen ganz zu schweigen. Nicht umsonst haben sich in den vergangenen Jahren etliche Bücher, Veröffentlichungen und Initiativen in Unternehmen mit den Themen Burn-out-Syndrom und Work-Life-Balance beschäftigt.
In diesem Zusammenhang wird häufig auf die angebliche Zauberformel „effektives Zeit- und Selbstmanagement“ verwiesen! Aber ist sie das wirklich? Tragen die Maßnahmen und Wege tatsächlich dazu bei, das Leben auf der Überholspur ein wenig zu entschleunigen? Versteht mich bitte nicht falsch, aber nutzen wir die „eingesparte Zeit“ tatsächlich dazu, das Büro früher zu verlassen, um im Kreise der Familie und Freunde zu entspannen, unseren Hobbys nachzugehen oder Sport zu treiben? Oder erhöhen wir einfach nur die Schlagzahl, muten uns weitere Aufgaben zu? Es stimmt mich nachdenklich, dass selbst diejenigen, die mir gegenüber ein „Ich kann nicht mehr!“ äußerten, letztendlich doch nichts an ihrer eigenen Lebensweise verändert haben. Die Sorge vor grundlegenden Veränderungen, etwas Neuen und Ungewissen scheint wohl zu überwiegen.
Mein Life Changing Moment
Ein Allheilmittel kann ich an dieser Stelle leider auch nicht anbieten. Aber, wer würde nicht gerne eine in der Vergangenheit liegende (falsche) Entscheidung oder ein Ereignis mit weitreichenden Folgen rückgängig machen? Ich bin mir sicher: Jedem von Euch fallen auf Anhieb etliche Situationen ein, die mehr als nur ein Kopfschütteln oder Augenverdrehen mit sich bringen. Auch ich kann ein Lied davon singen, schaue mittlerweile jedoch mehr nach vorne als zurück, schließlich kann ich das Verganene nicht mehr ändern, jedoch mit den erlebten Erfahrungen meine Zukunft gestalten. Neben diversen Veränderungen im Privatleben bezeichne ich zwei Erlebnisse als für mich einschneidende und richtungsweisende „Life Changing Moments“.
Der plötzliche Tod eines jungen Arbeitskollegen am Ende einer gemeinsamen Dienstreise verdeutlichte mir Anfang 1997 auf eine sehr harte Art und Weise, nicht nur auf seine Gesundheit zu achten, sondern auch wie wichtig es ist, seine privaten Träume und Ziele zu verwirklichen und diese nicht nach dem Motto „Morgen ist auch noch ein Tag“ hintanzustellen. Von da an begann ich, meine Hobbys Reisen und Ausdauersport noch intensiver zu verfolgen, so als gäbe es tatsächlich kein Morgen.
Der für mich jedoch bedeutendste Einschnitt in meinem Leben war ein schwerer Radunfall auf Lanzarote vor genau 20 Jahren. Auch wenn ich im Januar 2005 sicherlich sehr gerne auf das jähe Ende des Trainingslagers verzichtet hätte, kam der Unfall – rückblickend betrachtet – doch zum richtigen Zeitpunkt. Ich nutzte den verbleibenden Zwangsurlaub zur Selbstrexion und wachte aus meiner beruflichen Lethargie auf. Eine Reduzierung der Arbeitszeit, gefolgt von einem längeren Sabbatical, trug dazu bei, dass ich der beruflichen Tretmühle erfolgreich entfliehen und den Grundstein für meine Selbständigkeit legen konnte, eine der besten Entscheidungen meines Lebens.
COVID-19
Ganz bestimmt ist auch die COVID-19-Pandemie ein weltweiter „Life Changing Moment“, der durch mehrwöchige Lock-downs mit zahlreichen Verfügungen, Beschränkungen und Verboten die „Tretmühle Alltag“ komplett durcheinander gewirbelt und auf den Kopf stellte. Gewohnte Routinen waren aufgrund der vom Staat veränderten Rahmenbedingungen lange Zeit gar nicht, oder nur mit großem Aufwand umsetzbar. Viele Menschen – und auch Unternehmen – überdachten während dieser Zeit ihre Verhaltensweisen, Denkweisen und Komfortzonen, schließlich birgt jede Krise auch persönliche und unternehmerische Chancen. Wie man damit jedoch umgeht, entscheidet jeder für sich selbst. In blinden Aktionismus und in Panik zu verfallen, ist kein guter Ratgeber, ebensowenig wie sich ständig mehr oder weniger im Kreis drehen. In meinem Umfeld habe ich beaobachtet, dass diejenigen, die Krisen unterschiedlichster Art bereits meisterten, sich von COVID-19 nicht so leicht in die Knie haben zwingen lassen, im Gegenteil, sie strahlten positiv ansteckende Zuversicht aus. Licht und Schatten liegen auch hier bekanntlich sehr eng beieinander.
Ich wünsche niemandem ein einschneidendes negatives Erlebnis als Startschuss, um über gewohnte Verhaltensweisen, Monotonie im Arbeitsleben, unglückliche Beziehungen oder toxische Freundschaften intensiv nachzudenken, jedoch eignet sich der (meist entschleunigte) Jahreswechsel ideal dazu. Eines ist jedoch gewiss, die gewohnte Komfortzone zu verlassen, Veränderungen einzugehen, geht selten leicht von der Hand, das ist nur mit Disziplin, Wille und Kontinuität umsetzbar.
Foto: Armin Schirmaier