Von klein auf faszinieren mich fremde Länder, Landschaften und Kulturen, je exotischer, umso besser. Und Japan? Nein, Japan war das Land mit dem roten Punkt auf der Fahne. Es stand auf meiner Reiseliste ganz weit unten, um es bildlich auszudrücken, hinter den Bergen bei den sieben Zwergen. Aber warum eigentlich? Ich weiß es nicht, es war wohl eine Mischung aus Vorurteilen und Erlebtem – dass man bei Verbeugungen aufpassen sollte, Japaner auf Reisen meist in großen Gruppen anzutreffen waren und sie bei Seminaren selten Rückfragen stellten.
Und dann konfrontierte mich mein früherer tritime-Geschäftspartner Anfang 2015 damit, zum Ironman nach Hawaii einmal über Tokyo zu reisen. Mit Japan hatte ich bis dahin das verbunden, woran die meisten Menschen wohl auch denken: der Tennō, Samurai, Geishas, Verbeugen, viele Menschen, Elektronik- und Autoindustrie, Shinkansen, Fujiyama, Erdbeben, Kirschblüte, Stäbchen, Sushi, Manga und Sumō Ringer. Und bei Tokyo? Hauptstadt, der Kaiserpalast, die Ginza und der Austragungsort der Olympischen Sommerspiele! Das war es dann aber auch schon.
In der Vergangenheit machte ich es mir zum Programm, meine Zielorte meist völlig unvorbereitet anzusteuern. Natürlich ist diese Art des Reisens auch mit etwas Stress und kalkuliertem Risiko verbunden, ab und an wie ein begossener Pudel dazustehen, aber das macht doch das Reisen aus, oder? Ich jedenfalls stellte für mich fest, dass ich auf diesem Weg fremde Länder, Menschen und Kulturen am intensivsten kennenlerne.
Tokyo here I come: Fremde Schrift, fremde Sprache, fremde Kultur, 40 Millionen Einwohner, ohne Auto, völlig unvorbereitet und ohne einen einzigen Yen in der Reisekasse! Das kann ja nur schiefgehen! Kann … ich beherzigte die Zauberformel „lass dich auf das Unbekannte ein“, so wie sich meine Eltern vor über fünfzig Jahren auch darauf eingelassen haben, nach Südeuropa zu reisen, ohne auch nur ein Wort zu verstehen. Als Tourist einen auf Konsumentenhaltung machen und das unmittelbar nach der Einreise ausgeschaltete Gehirn bei der Reiseleitung abzugeben, das kann jeder. Der Gast mag zwar König sein, aber er trägt auch maßgeblich dazu bei, dass der Aufenthalt ein Erfolg wird.
Geld gibt es im Supermarkt
Einreiseformalitäten, Zollkontrolle, Kauf des Bustickets zur Tokyo Railway Station, all das funktionierte perfekt, ganz ohne Sprachbarrieren. Alle wichtigen Hinweisschilder waren zweisprachig! Und da die Schlange am Devisenschalter viel zu lang war, bezahlte ich Bus und Taxi – überraschenderweise fuhren alle Autos auf der falschen Seite – problemlos mit der Kreditkarte. Um aber tatsächlich auch japanisches Geld in den Händen halten zu dürfen, bedurfte es dann doch etwas Ausdauer. Alle Banken hatten bereits geschlossen, und die Geldautomaten akzeptierten weder Kreditkarte noch Maestro. Glücklicherweise gab es im 7-Eleven-Shop ein Hinweisschild auf einen Maestro-fähigen ATM. Ende gut, alles gut.
Leichter als Gedacht: Von A nach B
Mit genügend Bargeld in der Tasche konnte das Abenteuer Tokyo beginnen. Die Sorge, sich zu Fuß und auf eigene Faust in der Megacity nicht zurecht zu finden, hatte ich nicht, ich vertraute meinem Orientierungssinn und den zweisprachigen Straßennamen. Nach einem Tag und einem gefühlten Halbmarathon in den Beinen, stellte ich fest: Es geht! Und wenn ich dann doch einmal lost war und mich mein Stadtplan – ja, der aus Papier – auch nicht weiterbrachte, übernahmen die Ortungsdienste von Google Maps und das in vielen Stadtteilen frei verfügbare WLAN das Routing durch den Großstadtdschungel, es sei denn alle Richtungsangaben wurden auf japanisch angezeigt. Und dann eröffneten sich ganz neue Perspektiven, denn abseits der ausgetretenen Touristenpfade gab es wunderschöne Parks, kleine Tempelanlagen und viele unscheinbare Sehenswürdigkeiten, die mir sonst verwehrt geblieben wären. Von den Cafés und Restaurants, in denen nur Japaner verkehrten, einmal ganz abgesehen.

Und Untertage? Wer lesen kann und dazu nicht farbenblind ist, hat bekanntlich Vorteile, wenn man weiß, wohin man möchte. Jeder größeren Bahnlinie war eine bestimmte Farbe zugeordnet, die – zumindest an den großen Stationen – auf dem Fußboden den Weg zum richtigen Bahnsteig wiesen. Und trotzdem war Hilfe immer nah: Ziellos und mit einem großen Fragezeichen auf der Stirn umherirrende Touristen wurden von den Japanern angesprochen, ob sie Hilfe benötigen. Dass dadurch eine weitere Herausforderung, Stichwort Verständigung, hervorgerufen wurde, trug nicht nur zur Situationskomik, sondern auch der Völkerverständigung bei. Eine leichte Verbeugung, etwas Gebärdensprache und ein mit einem Lächeln versehenes freundliches Wort half immer, auch dann, wenn man gar nichts, aber auch gar nichts verstand, es funktionierte! Alles löste sich in Wohlgefallen auf, teilweise auch dadurch, dass ich sprichwörtlich an die Hand genommen und zur richtigen Bahn gebracht wurde.
Im Gegensatz zu anderen Metropolen war im Innenstadtgebiet zwischen Ginza, Kaiserpalst und Tokyo Station von Hektik keine Spur. Was in New York undenkbar wäre, ist in Japan Programm: Rot bedeutet Rot! Und daran halten sich alle, sogar notorische „bei Rot über die Ampel Geher“. Außerdem wird es nie langweilig, denn das Warten wird mit einer verspielten Melodie verkürzt.
To be continued
Auch wenn die Hauptstadt Japans vom 634 Meter hohen Tokyo Skytree den Eindruck einer unüberwindbaren großen Steinwüste vermittelt, sind die Sehenswürdigkeiten mithilfe der Metro leicht und schnell zu entdecken. Die Atmosphäre aus Moderne und Tradition zog mich von der ersten Sekunde an in ihren Bann.