Mein Tattoo für die Ewigkeit

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Ausdrucksstarke Tattoos ziehen mich seit jeher in ihren Bann. Der Mischung aus Kunstwerk und Körperschmuck steht ein Hauch von gescheiterten Existenzen, anrüchiger Unterwelt und fehlender gesellschaftlicher Anerkennung gegenüber: So etwas tut man doch nicht! Auch mich ließ diese Aussage zweifeln, über viele Jahre. Anstatt mich mit möglichen Motiven, Größen und Positionen auseinanderzusetzen, verdrängte und unterdrückte ich die heimliche Begierde. Meine Erziehung, aber auch mangelndes Selbstbewusstsein ließen es nicht zu, gegen den Strom und die vorgegebenen Normen zu schwimmen. Ich traute es mich erst gar nicht! Zu groß war die Sorge, was andere wohl über mich denken würden! Und hätte ein Tattoo tatsächlich mein berufliches Fortkommen negativ beeinflusst?

Stattdessen redete ich mir meinen fehlenden Mut schön, indem ich fremde Personen verurteilte, die sich – warum in aller Welt nur – einen so schrecklichen Anker, Fisch, Kreuz oder was auch immer bis ans Ende ihrer Zeiten unter die Haut haben stechen lassen. Schließlich ist ein Tattoo für die Ewigkeit, oder? Und dann auch noch in der Größe, so farbig und präsent an Armen, Beinen und Oberkörper? Das Warum betrachtete ich ausschließlich nach meinen eigenen Schönheits- und Ästhetikidealen, die Gründe des Tätowierten interessierten mich überhaupt nicht! Zum Glück ändern sich die Zeiten. Nicht nur ich bin selbstbewusster, auch Tattoos sind in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen.

Gleichzeitig prägten mich zwei Begebenheiten, die meine Sichtweise grundlegend änderten. Ich erinnere mich noch ganz genau an die Hochzeit einer meiner besten Freunde. Unter den Geladenen befand sich ein Gast mit komplett tätowierten Unter- und Oberarmen. Die unzähligen kleineren und großen Motive waren für mich kreuz und quer und irgendwie gefühlt ohne Sinn und Verstand angeordnet. Erst beim näheren Hinschauen vermochte ich mit viel Wohlwollen vereinzelte Strukturen zu erkennen, die mir kurze Zeit später als seine mit allen Höhen und Tiefen tätowierte Lebensgeschichte vorgestellt wurden. Auch wenn mir persönlich das zu viele Tattoos auf engstem Raum waren, änderten sich meine Vorurteile gegen vermeintlich schlechte Tattoos.

Kurze Zeit später sprach ich in der Umkleide eines Frankfurter Fitnesscenters einen Mitdreißiger auf seine übergroße Darstellung der italienischen Landesgrenzen an. Während der Stiefel von der Spitze bis zum Wadenmuskel auf seinen Armen sichtbar war, verliefen die nördlichen Regionen zwischen Triest, Sanremo und dem Südalpenkamm auf seinen durchtrainierten Brustmuskeln. Meine Anmerkung „Du liebst Italien schon ziemlich“ entgegnete er mit Stolz und strahlenden Augen: „Meine Liebe zu meinem Heimatland wird nie enden, genauso wenig wie die Liebe zu meinen Kindern!“ … womit die beiden Datumsangaben rund um Mailand keiner weiteren Erklärung bedurften. Weiter führte er aus: „Du darfst dir nur das eintätowieren, das für dich unvergänglich ist, zu dem du stehst, immer, ohne wenn und aber! Und deshalb sollte niemand bei seinen Tattoos einem Trend hinterherlaufen, den Namen des Partners oder das Hochzeitsdatum auswählen. Das kann vergänglich sein, und dann?“

Von dem Moment an war ich angefixt, das für mich passende Motiv zu finden, das für immer unter meiner Haut bleibt. Es soll zu mir stehen, nicht zu groß, sichtbar, aber auch nicht zu präsent sein. Die Aussagen des Italieners berücksichtigend kamen ziemlich schnell drei Tattoos in die engere Auswahl: Mein Geburtsdatum, ein Elefant – seit Kindesbeinen mein Lieblingstier – und die wärmende Sonne, die ich weit mehr bevorzuge als nasskalte Wintertage. Meine erste Wahl fiel auf das Geburtsdatum, das ich klein, aber fein – für mich jedenfalls – auf der Rückseite meiner beiden Unterschenkel in Höhe der Achillessehne platzieren möchte, linkes Bein Tag und Monat, rechtes Bein das Jahr. Auf Empfehlung suchte ich ein Studio auf, das an einem düsteren, nasskalten Januarabend sämtlichen Klischees entsprach: Dunkler Hinterhofeingang, Unrat, kaputte Fahrräder und ein schäbiges Treppenhaus. Hinter der Eingangstür jedoch das komplette Gegenteil: Freundliches Personal, das mir die mit dem ersten Tattoo einhergehenden Sorgen nahm – heute frage ich mich „welche eigentlich?“ – sowie alle Fragen beantwortete … und eh ich mich versah, waren die acht Ziffern auch schon unter der Haut. Fazit: Tat gar nicht weh, und ab jetzt gehöre auch ich zur Unterwelt. Schaute ich an den ersten Tagen danach noch regelmäßig auf meine Fersen, gehört das Tattoo kurze Zeit später zu mir wie das tägliche Zähneputzen.

Meine Mutter bemerkte bei meinem ersten Besuch relativ schnell die paar dunklen Flecken an meinen Füßen. Nachdem ihr klar war, dass es sich nicht um Dreck meiner letzten Mountainbiketour handelt, wurde sie neugierig. Gespannt, wie sie mit dem ersten Tattoo in unserer Familie umgeht, zeige ich ihr die Zahlenkombination. Ihre Reaktion machte mich jedoch mehr als sprachlos: „Schon praktisch mit Deinem Geburtsdatum … somit bist Du aufgrund Deiner Beine – solltest Du mal verschwinden – eindeutig zu identifizieren. Außerdem brauchst Du hinsichtlich der Angabe Deines Geburtstages, solltest Du – was ich natürlich auch nicht hoffe – mal dement sein, nur noch auf die Rückseite Deiner Füße zeigen!“ Mit einem „wenn ich das dann noch weiß“ war für uns das Thema Tattoo vom Tisch und bis zu ihrem Tod auch kein Thema mehr.

Gut so, denn der Gang zum Tätowierer ist auch ein klares Statement: Mein Körper. Meine Geschichte. Meine Haut. Mein Tattoo. Meine Entscheidung. Keine Rechtfertigung!