Eislaufen: Warum eigentlich nicht?

Eissporthalle FrankfurtEissporthalle Frankfurt

An meine ersten Erfahrungen auf dem Eis erinnere ich mich noch sehr gut. Mit den Gleitschuhen meiner Schwester unternehme ich im Grundschulalter erste Versuche, mich auf dem zugefrorenen Ententeich von Bruchhausen vorwärts zu bewegen. Wenig später helfen mir beim Eislaufen meine Rollschuhkenntnisse – damals noch mit jeweils zwei neben- und hintereinander positionierten Rollen –, mich recht schnell mit den weitaus schmaleren Schlittschuhkufen vertraut zu machen.

Der übervölkerte, aber viel zu kleine Ententeich, eine fehlende größere Eisfläche in der Nähe, erschweren es, diesen Sport im Winter weiterzuverfolgen, zumal auch die nächstgelegene Eissporthalle in Echtrop eine gute halbe Stunde Autofahrt entfernt ist. Schade. Kein Wunder, dass ich mit der Zeit das Interesse an diesem eleganten und zugleich explosiven Sport mit seiner Mixtur aus Körperbeherrschung, Gleichgewichtssinn, Koordination und Ausdauer verliere. Allerdings lassen mich die leichtfüßigen Bewegungen beim Eishockey, Eisschnelllauf und Eiskunstlauf auch heute noch geradezu erblassen, zeigen die Athleten nur allzu deutlich, welch harte Arbeit und tägliche Disziplin hinter diesen Fähigkeiten stecken.

Lifestyle und Volkssport

Obwohl im hohen Norden Europas das Eislaufen auf zugefrorenen Teichen, Seen, Kanälen und Flussläufen über mehrere Monate möglich ist, lohnt sich ein Blick über die Grenze in die Niederlande. Dort gehört der Eisschnelllauf seit Jahrzehnten zu den Volkssportarten. Superstars wie Jutta Leerdam und Suzanne Schulting sind nicht nur auf dem Eis sehr erfolgreich, sie punkten auch auf Social Media mit einer Millionenreichweite, und sind somit für Unternehmen und Marken gleich doppelt interessant als Werbepartner. Dieses Faible für das Eis hat eine lange Tradition, gehört zum Lifestyle unserer Nachbarn einfach dazu und ist Teil ihrer DNA. Wenn es die Temperaturen zulassen, bieten in den meisten Städten und Gemeinden die zugefrorenen Grachten und Kanäle perfekte Fortbewegungsmöglichkeiten. Geradezu Kult ist die Elfstedentocht, ein legendäres Langstreckenrennen über knapp 200 Kilometer auf zugefrorenen Wasserwegen in der niederländischen Provinz Friesland. Der einzigartige Wettkampf hat jedoch einen Haken, er wird nur dann ausgetragen, wenn die Eisdecke durchgängig 15 Zentimeter beträgt, auf der gesamten Strecke! Kein Wunder, dass bei den hiesigen warmen Wintern das Rennen zum letzten Mal 1997 ausgetragen wurde.

Und bei uns?

… ist das Schlittschuhlaufen eher auf Kunsteisbahnen angesagt, meist zwischen September und April. Eislaufen ist „in“, zumindest rund um Weihnachten und Neujahr, wenn in manch Innenstadt kleine und mittelgroße Eisarenen Jung und Alt in ihren Bann ziehen, um wie einst Katharina Witt oder Anni Friesinger über das gefrorene Nass zu gleiten. Wären da nicht die Herausforderungen Körperbeherrschung und Erdanziehung, um der unsanften Landung auf dem Allerwertesten ein Schnippchen zu schlagen. Die Redewendung „Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen!“ trifft (mit zunehmendem Alter) sprichwörtlich zu.

Ein geht nicht gibt‘s nicht!

Obwohl ich in den vergangenen Jahren im Rhein-Main-Gebiet genügend Möglichkeiten hatte, mich auf das Eis zu wagen, musste mich erst die zwölfjährige Lenya – eine begeisterte Inlinerin – davon überzeugen, mir rund 50 Jahre nach meinen letzten Eislaufkünsten erneut die Schlittschuhe zu schnüren. Meine zugegebenermaßen große Skepsis, meine eisfreie Komfortzone zu verlassen, auf der glatten Präsentierfläche den Clown abzugeben oder sich gar etwas zu brechen, wischt sie mit einem gekonnten Augenaufschlag einfach weg. Ein „ich möchte aber nicht“, undenkbar! So schnell geht das also, mit einer neuen, alten Herausforderung konfrontiert zu werden. Als Ort des Geschehens – für mich der Schauplatz des Grauens – wählt Lenya die Eissporthalle Frankfurt. Auf über 9.000 qm bieten dort drei Hallen – inklusive der Spielstätte der Frankfurter Löwen – und ein 400 Meter langer Außenring nicht nur sehr viel Platz zum Eislaufen, sondern auch Raum zum „nicht Auffallen“!

Eissporthalle Frankfurt: Außenring
Eissporthalle Frankfurt: Außenring

Einfach machen

Kaum in der Eissporthalle angekommen, befinden wir uns in den Katakomben beim Schlittschuhverleih. Bereits auf der Treppe wabert mir der Singsang der Eisläufer entgegen. Mit jeder weiteren Stufe hinab steigt die Luftfeuchtigkeit, vermischt mit dem unverwechselbaren Geruch nach Schweißfüßen und viel zu lange getragenen Strümpfen. Erinnerungen an Sammelumkleiden im Hallenbad und bei Bundesjugendspielen sind präsent wie nie zuvor. Fast schon nostalgisch! Wie damals freuen sich alle Anwesenden auf den bevorstehenden Sport, na ja, fast alle. Nur dass ich diesmal zu der kleinlauten Gruppe gehöre.

Die ausgeliehenen Schuhe passen wie angegossen. Spätestens jetzt gibt es kein zurück! Ohne zu „stakseln“ bewege ich mich souverän in Richtung Arena. Läuft! Glücklicherweise sind die Eisflächen gut gefüllt, sodass ich in der Menge untergehe. Meine ersten Versuche – die Seitenbande in Griffweite – verlaufen überraschenderweise angst- und sturzfrei. Trotzdem lasse ich es langsam angehen und setze konzentriert vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Mit jeder Hallenrunde werde ich mutiger und entferne mich immer weiter von der Außenbande. Mittendrin statt nur dabei! Meine Bewegungen werden flüssiger und ich nehme sogar die ersten Mitläufer um mich herum wahr. Besonders beeindrucken mich einige Kids im Kindergarten- und Grundschulalter, die sich wie selbstverständlich auf den Kufen bewegen, Stürze mit einem Lächeln wegdrücken, um sich von Neuem mit gekonnten Richtungs- und Tempowechseln gegenseitig zu jagen. Aber auch die Mitglieder der Eislaufabteilungen diverser Vereine zeigen ihr Können. Hochkonzentriert trainieren sie neue Drehungen, Pirouetten und Sprünge. Und Lenya? Sie gleitet über das Eis, als wäre es ihr zweites Zuhause. Auch sie traut sich mit jeder Minute mehr und versucht Übungen der erfahrenen Eiskunstläuferinnen nachzumachen.

"Eislaufprotokoll"
„Eislaufprotokoll“

Nach knapp 60 Minuten bin ich bereit für den Außenring. Einmal auf der Bahn, treiben mich Ehrgeiz und Erinnerungen an manch Tempoeinheit im Laufstadion an, möglichst zügig um das Rund zu jagen. Kein Wunder, dass mein Puls in die Höhe schießt, Bahntraining halt. Weitere eineinhalb Stunden später haben wir nach rund zehn Kilometern auf den Kufen „fertig“. Zur Belohnung gönnen wir uns eine große Portion Pommes, jeder versteht sich.

Was soll ich sagen?!

Von Zeit zu Zeit über seinen Schatten springen, etwas Neues erleben und die eingefahrenen Komfortzonen verlassen, ist nicht nur aufregend, es öffnet auch die Augen für weitere Abenteuer. Es ist nie zu spät. Es lohnt sich. Sei mutig. Es ist gar nicht so schlimm!