Angestellte im Service, insbesondere im Hotel- und Gaststättenbereich, sollen nicht nur stressresistent, geduldig und belastbar sein, gleichzeitig auch durch ein freundliches, empathisches, kommunikatives und zuvorkommendes Auftreten punkten, um dem Gast seinen Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten. Richtig umgesetzt fühlt sich jener wie ein König. Aber verhält sich der Kunde auch immer wie ein Selbiger?
2024 bereiste ich zehn Tage den Inselstaat Mauritius im Indischen Ozean. Neben dem Entdecken verschiedener Sehenswürdigkeiten im Landesinneren lasse ich es mir auf der Halbinsel Le Morne Brabant im Südwesten gut gehen. Nicht nur der lange Sandstrand mit Palmen und seinem kristallklaren Wasser zieht mich in seinen Bann, auch der Blick auf den gleichnamigen 556 Meter hohen „Hausberg“. Die beeindruckende Kombination aus Meer, Sand, Palmen und Fels könnte nicht schöner sein, einfach traumhaft. Allerdings spielte dieser Sehnsuchtsort für Touristen während seiner Kolonialzeit eine strategische Rolle im Sklavenhandel.
Dunkle Zeiten
In unmittelbarer Nähe des Le Morne Public Beach befindet sich eine sehr schön angelegte Anlage: das Slave Route Monument. Der historische Hintergrund verleitet die vereinzelten Besucher jedoch nicht zu Jubelschreien. Zentraler Punkt der Gedenkstätte – ein Symbol des Widerstands gegen die Sklaverei – ist der „Central Rock: Escape“. Seine Inschrift hinterlässt mich nachdenklich, traurig und wütend zugleich.
„The central rock shows a slave emerging from the stone, trying to escape from bondage towards the direction of his country of origin, Madagascar. The slot at the top of the stone shows a group of abstract human figures representing slaves jumping from the mountain.”
Wie verzweifelt müssen Menschen sein, sich nach einer geglückten Flucht vor ihren Peinigern an den Hängen und Klippen des Le Morne Brabant zu verstecken, um sich später ohne Aussicht auf Rettung freiwillig in die Tiefe zu stürzen und den Tod vorzuziehen, als weiter unterdrückt und erniedrigt zu werden. Glücklicherweise wurde die Sklaverei auf Mauritius 1835 abgeschafft.
„Cassius Clay ist ein Sklavenname. Ich habe ihn nicht gewählt, und ich will ihn nicht. Ich bin Muhammad Ali, der Name eines Freien, und ich verlange, dass ihn die Leute verwenden, wenn sie mit mir und über mich reden.“
Muhammad Ali nach seinem Namenswechsel
Schlacht am Buffet
In Restaurants und Hotels schätze ich einen zuvorkommenden, freundlichen und nicht allzu aufdringlichen Service. Die all-you-can-eat-Buffets meiner Unterkunft punkten mit regionalen exotischen Köstlichkeiten wie Fisch, Fleisch, Gemüse und Obst. Ein wahrer Genuß. Einige Gäste übertreiben es allerdings und verlieren jedwedes Maß an Etikette. Bereits am Buffet wird das erste Glas frisch gepresster Orangensaft weggeext, um später am Tisch mit mehreren überladenen Tellern und Schälchen die Übersicht und die Kontrolle über den eigenen Appetit und das Fassungsvermögen ihres Magens zu verlieren. Die Redewendung „die heiße Schlacht am kalten Buffet“ und der gleichnamige Song von Reinhard Mey stehen sinnbildlich für dieses Verhalten, und das dreimal täglich zum Frühstück, Mittag- und Abendessen!
Besonders schlimm empfinde ich es, wenn der Essbereich wie ein Schlachtfeld verlassen wird, häufig mit angeknabbertem oder gar nicht angerührtem Essen. Ein ungutes Gefühl, Nahrungsmittel entsorgen zu lassen? Nicht existent! Was nicht schmeckt oder nicht mehr reinpasst, kann weg! Muss man sich den Teller denn gleich bergeweise beladen, wenn man das Lebensmittel gar nicht kennt und nicht weiß, ob es einem auch schmeckt? Haben die Gäste Sorge, dass es bei einem möglichen zweiten oder dritten Gang zum Buffet nichts mehr gibt? Aber Hauptsache, sie haben sich ihren angemessenen Teil gesichert, schließlich ist ja alles bezahlt. Typisch deutsch? Nein, das trifft in dem besagten Hotel auf alle Nationalitäten gleichermaßen zu.
Neokoloniales Verhalten
Eine Servicekraft unterstützt bekanntlich den Gast wo es nur geht. Sich von jenem jedoch herumkommandieren zu lassen, mit einer abwertenden Handbewegung auf die nachzufüllende Tasse Kaffee hingewiesen zu werden – obwohl die Kanne in Reichweite auf dem Tisch steht – gehört sich einfach nicht. Geradezu abstoßend empfand ich es, als ein sichtbar stark übergewichtiger Mann im hautengen roten Shirt einem Kellner den Teller in die Hand drückt und ihn auffordert, mit ihm zu kommen. Sekunden später weist er ihn im Buffetraum seelenruhig und mit einer Selbstverständlichkeit an, was und wieviel er ihm auf den Teller packen soll. Der perplex dreinschauende Mitarbeiter weiß gar nicht, wie ihm geschieht und er sich zu verhalten hat, er lässt es über sich ergehen. Zu guter Letzt muss er dem roten General das Essen zu seinem Platz bringen, wo seine ebenfalls korpulente Gattin nur darauf wartet, ihm zu befehlen, ihr das gleiche Essen zu bringen.
Auch wenn das berühmte Zitat aus der Bergpredikt „Was du nicht willst, was man dir tu, das füg auch keinem andern zu.“ (Evangelium des Matthäus, Kapitel 7, Vers 12) nicht immer in allen Lebensweisen umsetzbar ist, so lässt mich das neokoloniale Verhalten dieses Ehepaares im Frühstücksraum fassungslos zurück. Anstand? Fehlanzeige! Muhammad Ali bringt es auf den Punkt:
„Jemand, der nett zu mir ist, aber unhöflich zum Kellner, dem traue ich nicht. Weil sie mich auf die gleiche Weise behandeln würden, wenn ich in der Position des Kellners wäre.“
Ob sich das Ehepaar – auch vor dem Hintergrund des nahegelegenen Slave Route Monuments – jemals in die Lage des Kellners hineinversetzen kann oder es auch nur möchte? Ich glaube nicht!